Nachruf auf Helmut Creutz

* 8.7.1923 in Aachen  |   † 10.10.2017 in Aachen

  Unser hoch geschätzter langjähriger Freund und Weggefährte Helmut Creutz ist im hohen Alter von 94 Jahren verstorben. Liebevoll behütet und umsorgt von seiner Frau Barbara war es ihm nach einem jahrzehntelangen gemeinsamen Streben nach Gerechtigkeit und Frieden vergönnt, seine letzten Lebensjahre zu Hause lesend und ausruhend zu erleben und schließlich in Gegenwart seiner Frau sanft aus unserer Zeit zu gehen.

  Damit schließt sich ein weiter Lebensbogen, der in den Wirren der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg auf dem Höhepunkt der großen Inflation begann. Die Wirtschaftskrisen der 1920er und 1930er Jahre bestimmten die Kindheit und Jugend von Helmut Creutz in einer Aachener Arbeiterfamilie. Nach dem Besuch einer Mittelschule wollte er Ingenieur im Flugzeugbau werden, doch durchkreuzte der Krieg seine Pläne. Als Pilot und Fluglehrer blieb ihm zwar der Fronteinsatz erspart, dennoch geriet er gegen Kriegsende in russische Gefangenschaft, aus der er Ende 1946 schwer gezeichnet zurückkehrte. Die beiden folgenden Jahre verbrachte Helmut Creutz in Krankenhäusern und Heilstätten, wo seine schwere Lungenerkrankung durch eine Operation zum Stillstand gebracht werden konnte.

  In den Jahrzehnten des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders schaffte Helmut Creutz für sich und seine Familie eine Existenz als Architekt und Innenarchitekt und war Leiter eines Planungsbüros. Mit seinen Kindern kam ihm der Gedanke, Kindermöbel zu entwickeln, die ‚mitwachsen‘. Sie wurden in Deutschland und in den USA patentiert. Aus dieser Zeit stammen auch seine ersten Veröffentlichungen in Architektur- und anderen Fachzeitschriften.

  Zur Zeit der 1968er Studentenbewegung und während der Anfänge der Ökologiebewegung begann in Helmut Creutz der schrittweise Wandel zu einem ‚sozialen Architekten‘. Zusammen mit seiner Frau gründete er die erste Aachener Bürgerinitiative, bei der es um Probleme der Energiepolitik ging. Außerdem arbeitete er in der Wählerinitiative „Christen und Politik“ mit. 1974 erschien sein Betriebstagebuch „Gehen oder kaputt gehen“ als Auftakt zur Reihe „Werkkreis Literatur der Arbeitswelt“, die von Max von der Grün und Günter Wallraff im Fischer Taschenbuch Verlag herausgegeben wurde. Zwei Jahre später gehörte Helmut Creutz zu den Mitbegründern einer Bürgerinitiative „Humane Schule“ und er veröffentlichte im Bertelsmann Verlag und später bei dtv sein Schultagebuch eines Vaters „Haken krümmt man beizeiten“. Es wurde in der Fernsehsendung „Titel, Thesen, Temperamente“ vorgestellt und erhielt eine große öffentliche Aufmerksamkeit. 1979/80 folgte die Mitgründung des Kreisverbandes der Grünen in Aachen. Helmut Creutz entwarf auch ein Konzept zur städtischen Verkehrsberuhigung, das beim Deutschen Städtetag diskutiert wurde.

  Ein weiteres Buchprojekt über die Fortentwicklung der Demokratie kam nicht zum Abschluss, weil Helmut Creutz Ende der 1970er Jahre einen Brief von einem Leser seiner Bücher erhielt, der seinem Leben eine neue Richtung geben sollte. Dieser Leser – es war Walter Michel aus Berlin – regte ihn an, sich näher mit den Problemen des Geldwesens zu beschäftigen, und fügte ihm zum Einstieg in diese Thematik die Broschüre „5000 Jahre Kapitalismus“ von Hans Kühn bei. Anfangs war Helmut Creutz skeptisch und wollte das Gelesene durch Zahlen, Daten und Fakten widerlegen. Dabei gelangte er jedoch nach und nach zu der Überzeugung, dass etwas dran war an der Kritik an unserem Geldwesen. Bald war Helmut Creutz so sehr von dieser Thematik fasziniert, dass er begann, seine Gedanken bei Diskussionsveranstaltungen vorzutragen und in einer schnell anwachsenden Reihe von kleineren Schriften zu veröffentlichen. Damit unterstützte er die damals in einem schwierigen Generationenwechsel befindliche Geldreformbewegung ganz wesentlich und brachte einen frischen Wind in sie hinein, einen ganz neuen Stil des öffentlichen Wirkens: als Praktiker machte sich Helmut Creutz daran, die wirtschaftliche Realität anhand von empirischen Fakten und Zahlen verständlich zu machen und hieraus im zweiten Schritt theoretische wie praktische Folgerungen abzuleiten. Statt den Menschen vermeintlich fertige Problemlösungen und Dogmen aufzudrängen, wollte er in ihnen erst einmal ein Gespür für die Probleme des Geldwesens wecken, damit sie danach eigenständig nach Lösungen suchen können. Auch methodisch-didaktisch ging Helmut Creutz neue Wege, indem er unzählige grafische Darstellungen entwickelte, um wirtschaftliche Zusammenhänge zu veranschaulichen. Auf diese Weise entstand auch eine Plakatausstellung, die häufig bei Kirchentagen auf dem „Markt der Möglichkeiten“ und bei Ökomessen zu sehen war.

  Für Helmut Creutz wurden alle diese Aktivitäten – die Vorträge und Seminare in kirchlichen Akademien, bei Parteien und Gewerkschaften, bei Umwelt- und Friedensgruppen sowie die Veröffentlichungen und die Pflege einer großen Zahl von Briefkontakten – schon sehr bald zu einem für ihn so wichtigen Lebensinhalt, dass er 1983 seinen Beruf aufgab, um sich fortan ganz seiner inneren Berufung zu widmen und den Menschen in Wort und Schrift bewusst zu machen, dass unser Geldwesen fehlerhaft strukturiert ist und geändert werden muss, damit soziale und ökologische Katastrophen abgewendet werden können.

  1987 erschien sein Buch „Bauen–Wohnen–Mieten. Welche Rolle spielt das Geld?“ Im Sommersemester 1990 erhielt Helmut Creutz einen Lehrauftrag an der damaligen Gesamthochschule Kassel. Drei Jahre später fasste er seine wirtschafts- und geldpolitischen Einsichten in seinem Hauptwerk „Das Geldsyndrom–Wege zu einer krisenfreien Marktwirtschaft“ zusammen, dem mehrere aktualisierte Taschenbuchausgaben folgten. Gegen Ende der 1990er Jahre wurde das „Geldsyndrom“ auszugsweise ins Persische und vollständig ins Ungarische übersetzt. Es folgte eine Hörbuch-Version. Daneben veröffentlichte Helmut Creutz unzählige Aufsätze in den Zeitschriften der Geld- und Bodenreformbewegung – „Zeitschrift für Sozialökonomie“, „Fairconomy“, „Humane Wirtschaft“ und „Fragen der Freiheit“ – sowie in den Zeitschriften „Der Gesundheitsberater“, „Contraste“, „Politische Ökologie“ und „Sozialismus“. Außer um die vom bestehenden Geldwesen mit verursachten sozialen Probleme ging es darin um die Frage „Wachstum, Wachstum über alles?“ und um „Wirtschaftliche Hintergründe von Rüstung und Krieg“. Die Zusammenarbeit mit Helmut Creutz hat uns viel Freude gemacht und besonders geschätzt haben wir an ihm die Verbindung seiner menschlichen Warmherzigkeit mit seiner sachlichen Nüchternheit, mit der er z. B. Statistiken der Deutschen Bundesbank und später der Europäischen Zentralbank sowie auch des Statistischen Bundesamtes auswertete.

  Von 1990 bis 2002 gehörte Helmut Creutz dem Vorstand der „Stiftung für Reform der Geld- und Bodenordnung“ an. Als deren 2. Vorsitzender regte er den Studienwettbewerb „Karl-Walker-Preis“ an, um junge Menschen zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Geldproblematik zu ermutigen. 2004 folgte sein nächstes Buch „29 Irrtümer rund ums Geld“.

  Von mehreren Seiten wurde Helmut Creutz insgesamt drei Male für den Alternativen Nobelpreis vorgeschlagen und im Jahr 2007 nominiert. Ausgezeichnet wurden in diesem Jahr stattdessen Menschenrechts- und Friedensaktivisten aus Sri Lanka und Kenia sowie „Grameen Shakti“ in Bangladesh und ein kanadisches Ehepaar, das gegen Monsanto kämpfte. Das war gewiss auch eine gute Wahl. Und dennoch – mit einer Würdigung des Lebenswerks von Helmut Creutz mit dem „Right Livelihood Award“ hätte sich gerade am Beginn der großen Weltfinanzkrise ein nicht weniger wichtiges Zeichen setzen lassen. Tröstlich dürften für ihn die Worte gewesen sein, mit denen Prof. Dr. Raimund Schweighoffer von der Hochschule Kempten den Antrag zur Vergabe des Alternativen Nobelpreises an Helmut Creutz mit unterzeichnete: „Seine Vorträge hinterlassen ein merkwürdiges Gefühl der Betroffenheit und eine Ahnung von der Richtigkeit seiner Überlegungen.“ Und erfreulicherweise erschienen gerade rechtzeitig zum 85. Geburtstag von Helmut Creutz vollständige englische und französische Übersetzungen seines Buches „Das Geldsyndrom“, so dass dieses Grundlagenwerk der Geldreform auch in diesen beiden für die wissenschaftliche Diskussion so wichtigen Weltsprachen zugänglich wurde. Zum selben Anlass wurde auch noch ein Film des Münchener Filmemachers Frieder Mayerhofer über das Leben und Werk von Helmut Creutz fertig.

  Als Helmut Creutz im Herbst 2009 von dem Journalisten Gerald Eimer in einem Interview nach seiner Einschätzung der milliardenschweren Bankenrettungspakete gefragt wurde, lautete seine Antwort: Im Vergleich zu 1929 „hat man also dazugelernt. Letztendlich können diese Notprogramme aber nur aus den Staatseinnahmen oder über zusätzliche Schulden finanziert werden. Dieser Finanzierungsweg über Schulden vergrößert jedoch in einem eklatanten Maß die unsozialen Auswirkungen unseres ganzen Geldsystems, da mit den erhöhten Zinsströmen die Umverteilung in der Gesellschaft noch schneller zunimmt. ... Schon heute entfallen im Schnitt auf jeden Menschen rund 20.000 Euro Staatsschulden bzw. rund 100.000 Euro Gesamtschulden, wenn man die Wirtschafts- und Privatkredite hinzunimmt. Und ein solches Schuldenpaket findet auch jedes Neugeborene in seiner Wiege vor – Schulden, die es nicht gemacht hat, für die es aber ein Leben lang gerade stehen muss. ... Diese Umverteilungsprozesse werden uns meistens nur im Zeitraffer deutlich. In den vergangenen 17 Jahren ist das nominelle Volkseinkommen zwar um 66 Prozent gestiegen, die Bruttolöhne aber nur um 43 Prozent und die Nettolöhne sogar nur um 34 Prozent. Dafür sind die sog. Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen um 110 Prozent gewachsen und die Geldvermögensbestände sogar um 142 Prozent.“ Und angesprochen auf die mittel- und längerfristigen Folgen der Rettungsprogramme fügte er hinzu: „Möglicherweise werden wir uns, mit großen Verlusten für alle, noch einmal aufrappeln. Ganz sicher ist jedoch, dass ein solches Wirtschaftssystem, in dem die Einkommen aus Kapital schneller wachsen als die aus Arbeit, aus einfachen mathematischen Gründen irgendwann kollabieren muss.“ (Aachener Nachrichten am 11.11.2009, S. 3) Damit brachte Helmut Creutz noch einmal den Kern seines Anliegens zum Ausdruck. Und wie nicht anders zu erwarten, war er auch der erste, der die Anfänge der Entwicklung hin zu negativen Zinsen wahrnahm und klar erkannte: „Negativzinsen erfordern eine Geldumlaufsicherung“ – statt des Quantitative Easing! (So lautete der Titel eines seiner letzten Aufsätze in der „Zeitschrift für Sozialökonomie“, 164./165. Folge 2010) Und vor zwei Jahren bedauerte Helmut Creutz noch einmal, dass „wir immer noch in der Zwickmühle sind: entweder noch mehr Wachstum oder sozialer Kollaps.“ (Interview in der „Fairconomy“ Nr. 4/2015, S. 20)

Mehr als unermüdlich vor der Brüchigkeit des Wirtschaftssystems zu warnen, war jedoch nicht möglich. Die Verantwortung für die Missachtung solcher Warnungen tragen diejenigen in der Politik, in den Wissenschaften und in der Praxis, die nur einfach so weitermachen wie bisher. Immerhin war es für Helmut Creutz noch eine Freude und Beruhigung zu erfahren, dass der Student Thomas Kubo einen Verlag für seine Bücher gegründet hat und eine Internetveröffentlichung aller seiner Werke vorbereitet. Und ebenso erfreute es ihn, dass sich in den letzten Jahren einige englischsprachige Ökonomen wie Willem Buiter, Miles Kimball und Kenneth Rogoff unvoreingenommen mit den Reformvorschlägen der Geldreformer auseinandersetzen, die Jahrzehnte lang nicht ernst genommen wurden.

So verbinden sich am Ende unseres langen gemeinsamen Weges mit Helmut Creutz unsere große Dankbarkeit für die freundschaftliche Zusammenarbeit und unser Mitgefühl mit seiner Frau Barbara mit der Gewissheit, dass alles gemeinsame Streben einen guten Sinn hatte, und mit der Hoffnung, dass es auch in Zukunft noch Früchte tragen wird.

Werner Onken, Red. Zeitschrift für Sozialökonomie
Fritz Andres, 1. Vors. der Stiftung für Reform der Geld- und Bodenordnung
Prof. Dr. Dirk Löhr, Vorstand Sozialwissenschaftliche Gesellschaft
Prof. Dr. Felix Fuders, Vorstand Initiative für Natürliche Wirtschaftsordnung
Beate Bockting, Red. Fairconomy
Eckhard Behrens, Vorstand Seminar für freiheitliche Ordnung
Andreas Bangemann, Vorstand Förderverein Natürliche Wirtschaftsordnung
und freiwirtschaftlicher Jugendverband
Rudolf Mehl, Vorstand Christen für Gerechte Wirtschaftsordnung